Mit der Einführung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht in § 20a IfSG zum 16.03.2022 hat der Gesetzgeber für einige Verwirrung bei der Leitung von Einrichtungen des Gesundheitswesens gesorgt. Viel zu unklar bleibt die Gesetzesbegründung über die praktische Umsetzung der Impfpflicht. Auch über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen gegenüber ungeimpften Mitarbeitern schweigt der Gesetzgeber. Als erstes Arbeitsgericht hatte sich nun das ArbG Gießen mit einer Auseinandersetzung zwischen der Leitung eines Seniorenheims und einem dort beschäftigten Ungeimpften über seine Freistellung aufgrund des Impfstatus zu befassen.
Sachverhalt
Der Kläger ist seit dem 01.11.2020 als Wohnbereichsleiter in einem Seniorenheim tätig. Nach Beschluss der einrichtungsbezogenen Impfpflicht durch den Gesetzgeber forderte die Leitung des Seniorenheims alle Beschäftigten zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises auf. Der Kläger war weder geimpft noch genesen. Den erforderlichen Nachweis konnte er somit nicht vorlegen. Die Leitung der Einrichtung stellte den Kläger daraufhin ab dem 16.03.2022 bis auf weiteres widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, längstens bis zum 31. Dezember 2022. Im Rahmen einer einstweiligen Verfügung wollt der Kläger die weitere Beschäftigung gerichtlich durchsetzen.
Entscheidung
Das ArbG Gießen wies das Begehren zurück. Es bestehe kein Anspruch auf Beschäftigung.
Das Interesse der Beklagten am Schutz der Gesundheit der Bewohner des Seniorenheims überwiege dem Beschäftigungsinteresse des Klägers. Auch wenn ein automatisches Beschäftigungsverbot von § 20a IfSG für bereits vor dem 16.03.2022 tätiges Bestandspersonal nicht vorgesehen ist, ergibt sich aus der Vorschrift der Wille des Gesetzgebers dahin, dass der Gesundheitsschutz besonders vulnerabler Personen dem Beschäftigungsinteresse einzelner Arbeitnehmer überwiegt. Mit der Differenzierung zwischen Neupersonal und Bestandspersonal wolle der Gesetzgeber einzig verhindern, dass durch ein zwingendes Beschäftigungsverbot die Funktionsfähigkeit der Einrichtung gefährdet werde. An einer freiwilligen Freistellung im Einzelfall sei der Arbeitgeber dadurch aber nicht gehindert.
Praktische Hinweise
Mit dem Urteil des ArbG Gießen ist das erste Urteil der Arbeitsgerichte zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht ergangen. Dieses räumt dem Arbeitgeber bereits vor Ausspruch eines behördlichen Beschäftigungsverbot das Recht zur Freistellung ungeimpfter Mitarbeiter unter Wegfall der Vergütungspflicht ein. Nach unserer Auffassung geht dies zu weit. Unseres Erachtens nach müssen Bestandsmitarbeiter bis zum Ausspruch eines Beschäftigungsverbots durch das zuständige Gesundheitsamt vom Arbeitgeber weiterhin beschäftigt werden. Anderenfalls kommt der Arbeitgeber in Annahmeverzug und ist zur Lohnfortzahlung weiterhin verpflichtet. Auch in der Handreichung des Bundesministeriums für Gesundheit zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht heißt es, dass § 20a IfSG kein Recht des Arbeitgebers zur Freistellung begründet. Ob sich andere Gericht dem ArbG Gießen anschließen werden, bleibt daher abzuwarten.
Das Urteil des ArbG Gießen finden Sie hier.
Inzwischen hat auch das LAG Hessen das Urteil zweitinstanzlich bestätigt. In den Eilverfahren ist damit rechtkräftig entschieden. (LAG Hessen, Urt. v. 11.08.2022, Az.: 5 SaGa 728/22)
Die Handreichung des Bundesministeriums für Gesundheit können Sie hier nachlesen.