Kann ein Patient aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht selbst über seine medizinische Versorgung entscheiden, so durften entsprechende Entscheidungen vom Ehegatten bisher lediglich dann vorgenommen werden, wenn dieser durch eine Vorsorgevollmacht dazu ermächtigt wurde oder gerichtlich als rechtlicher Betreuer bestellt war. Dies ist seit dem 01.01.2023 anders. Mit dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 04.05.2021 wurde unter anderem auch ein Notvertretungsrecht des Ehegatten in § 1358 BGB eingeführt, welches seit Jahresbeginn gilt. Dieses berechtigt den Ehegatten in akuten Notfallsituationen zur Entscheidung über medizinische Maßnahmen, ganz ohne vorherige gerichtliche Anordnung.
1.Wann besteht ein solches Notvertretungsrecht?
Voraussetzung ist zunächst, dass der Patient aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht mehr in der Lage ist, seine eigenen Angelegenheiten gegenüber Ärzten, der Krankenkasse, einem Krankenhaus oder einer Reha-Einrichtung alleine zu regeln. Das Vorliegen eines solchen Krankheitszustandes und der Zeitpunkt, zu welchem dieser Zustand spätestens eingetreten ist, ist gem. § 1358 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BGB schriftlich von dem Arzt zu bestätigen, gegenüber welchem sich der Ehegatte erstmals auf sein Vertretungsrecht beruft. Kann der Arzt den genauen Zeitpunkt des Eintritts in den Zustand nicht feststellen, so ist laut Gesetzesbegründung auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Patient in die Klinik eingeliefert wurde bzw. dem Arzt vorgestellt wurde.
Weitere Voraussetzung ist eine wirksame Ehe. Über die Regelung in § 21 LPartG besteht das Notvertretungsrecht auch im Falle einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Eine bloße Verlobung oder nichteheliches Zusammenleben genügt jedoch nicht.
2.Was ist von dem Notvertretungsrecht umfasst?
Durch das Notvertretungsrecht sollen die Beistandsmöglichkeiten des Ehegatten in Notsituationen verbessert werden. Dementsprechend umfasst es hauptsächlich Angelegenheiten, welche in der Erstbehandlungsphase notwendig sind. So ist es der Ehegatte, mit welchem das ärztliche Aufklärungsgespräch zu führen ist. Auch die Einwilligung in Untersuchungen und sonstige ärztliche Behandlungen hat durch den Ehegatten zu erfolgen. Weiterhin wird der Ehegatte berechtigt, für den Patienten entsprechende Behandlungs- und Krankenhausverträge abzuschließen. Gleiches gilt für den Abschluss von Verträgen über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege. Der Ehegatte darf auch über freiheitsentziehende Maßnahmen nach § 1831 Abs. 4 BGB, beispielsweise die Fixierung am Bett oder eine Sedierung, entscheiden, wenn diese eine Dauer von 6 Wochen nicht übersteigen.
Eine Beschränkung des Vertretungsrechts findet sich in § 1829 BGB, auf welchen durch § 1358 Abs. 6 BGB verweisen wird. Wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Patient aufgrund der ärztlichen Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet, darf der Ehegatte nicht ohne Genehmigung des Betreuungsgerichts über diese Maßnahme entscheiden, es sei denn durch das Warten auf die gerichtliche Entscheidung kommt es zu einer Gefahr für den Patienten.
3.Wann greift das Notvertretungsrecht nicht?
In § 1358 Abs. 3 BGB ist geregelt, in welchen Fällen ein Notvertretungsrecht des Ehegatten nicht besteht. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Ehegatten getrennt leben. Das Notvertretungsrecht ist ebenfalls nicht einschlägig, wenn eine abweichende Regelung zur Vertretung getroffen wurde. Dies ist der Fall, wenn der Patient eine andere Person als den Ehegatten zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten bevollmächtigt hat oder bereits ein gesetzlicher Betreuer bestellt wurde.
Ferner ist das Notvertretungsrecht auf einen Zeitraum von 6 Monaten begrenzt. Eine Verlängerung ist nicht möglich. Umso bedeutender ist die schriftliche Bestätigung des Zeitpunkts, ab welchem die Voraussetzungen des Vertretungsrechts vorlagen, durch den Arzt.
Das Notvertretungsrecht greift ebenfalls nicht, wenn der Patient eine Vertretung durch den Ehegatten ausdrücklich ablehnt. Dies kann beispielsweise durch die Eintragung eines Widerspruchs gegen die Stellvertretung des Ehegatten in das Zentrale Vorsorgeregister erfolgen.
Der Arzt hat sich vom Ehegatten schriftlich versichern zu lassen, dass ein solcher Ausschlussgrund nicht vorliegt.
Es besteht ferner keine Pflicht des Ehegatten zur Übernahme der Vertretung. Sollte dieser die Vertretung ablehnen, ist ein gerichtliches Betreuungsverfahren einzuleiten.
4.Was bedeutet dies für den behandelnden Arzt?
Gemäß § 1358 Abs. 2 BGB wird der behandelnde Arzt gegenüber dem Ehegatten von der Schweigepflicht entbunden. Der Ehegatte ist berechtigt Einsicht in die Krankenakte zu nehmen und die Weitergabe dieser an Dritte zu bewilligen.
Weiterhin hat die Aufklärung über die medizinischen Maßnahmen gegenüber dem vertretenden Ehegatten zu erfolgen. Von diesem ist auch die Einwilligung einzuholen. Unberührt bleibt jedoch die Vorschrift des § 630 e Abs. 3 BGB, nach welcher die Aufklärung bei unaufschiebbaren Maßnahmen entbehrlich ist.
Zu beachten hat der Arzt auch seine Dokumentations- und Informationspflichten aus § 1358 Abs. 4 BGB. So hat er das Vorliegen der Voraussetzungen für das Notvertretungsrecht schriftlich zu bestätigen und dem Ehegatten diese Bestätigung vorzulegen. Anschließend muss sich der Arzt vom Ehegatten schriftlich versichern lassen, dass kein Ausschlussgrund vorliegt und das Vertretungsrecht nicht bereits ausgeübt wurde. Diese Dokumentation ist dem Ehegatten anschließend zum Nachweis des Vertretungsrechts auszuhändigen. Dies wird in der Praxis zu Schwierigkeiten führen, da es für den Arzt kaum möglich sein wird, herauszufinden, ob von einem Kollegen bereits eine solche Bestätigung erstellt und verwendet wurde.
Fehlt es an den Voraussetzungen für das Vertretungsrecht, beispielsweise weil die Ehegatten getrennt leben, und versichert der Ehegatte dem Arzt dennoch das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen, stellt sich die Frage nach der Haftung des Arztes. Der Ehegatte ist in diesem Fall nicht zur Vertretung berechtigt. Dementsprechend kann diesem gegenüber keine Aufklärung erfolgen und von diesem keine wirksame Einwilligung eingeholt werden. Eine Behandlung ohne entsprechende Aufklärung und Einwilligung führt grundsätzlich zu Schadensersatzansprüchen des Patienten. Eine Schadenersatzpflicht des Arztes wird jedoch dann nicht begründet, wenn er das Vorliegen des Ausschlussgrundes nicht kennen konnte. Bei der Frage, ob der Arzt den Ausschlussgrund hätte erkennen müssen, wird zu berücksichtigen sein, dass das Vorliegen in der Praxis für den Arzt kaum überprüfbar sein wird. Dem Arzt bleibt häufig nur, sich auf die Versicherung des Ehegatten zu verlassen. Eine Überprüfungspflicht der Angaben des Ehegatten schreibt das Gesetz gerade nicht vor. Die einzige praktikable Lösung liegt daher darin, bei Vorliegen der schriftlichen Versicherung des Ehegatten den Arzt von einem Fahrlässigkeitsvorwurf zu befreien. Ob dies von den Gerichten ebenfalls so gesehen wird, bleibt abzuwarten.