BAG: Eine Dienst-SMS zur Arbeitszeit des Folgetags muss auch in der Freizeit gelesen werden

BAG, Urteil vom 23.08.2023, Az.: 5 AZR 349/22

Ein Mitarbeiter kann verpflichtet sein, eine Dienst-SMS zur Konkretisierung der Arbeitszeit am Folgetag auch in seiner Freizeit lesen zu müssen.
Liest er sie nicht und erscheint deshalb zu spät zum Dienstbeginn, hat er möglicherweise keinen Anspruch auf Vergütung nach § 615 S. 1 BGB i. V. m. §§ 293 ff. BGB.
Dafür muss der Arbeitnehmer jedoch wissen, dass er eine solche Nachricht in einem angemessenen Vorlauf zu erwarten hat. Eine einzelne Dienst-SMS ist noch kein Anlass für die Berechnung von „Arbeitszeit“ nach Unionsrecht. Dadurch wird der Mitarbeiter auch nicht erheblich in seiner Ruhezeit gestört.

Sachverhalt

Der klagende Notfallsanitäter war seit 2003 bei dem beklagten Rettungsdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der TVöD-VkA Anwendung. Zusätzlich besteht im Betrieb eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. In dieser ist u.a. die Erstellung des Rahmendienstplans geregelt, aus dem sich die Schichtarten, Schichtlängen und die sich daraus ergebende Festlegung von Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit ergibt. Aktualisierungen des Dienstplanes sind bis zum 15ten des Vor-Vormonats dem Betriebsrat zu melden. Spätere Änderungen sind für den Mitarbeiter freiwillig. Einzelne Springerdienste können hingegen bis 4 Tage vorher durch konkrete Schichtzuteilung verbindlich angeordnet werden. Unkonkret zugeteilte Springerdienste können für Tag- und Spätdienste bis 20 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan weiter konkretisiert werden. Der aktuelle Dienstplan kann von den Mitarbeitern über das Internet eingesehen werden. Für den 08.04.2021 war für den Kläger seit dem 04.04.2021 im Dienstplan ein unkonkreter Springerdienst vorgesehen. Nachdem die Beklagte am 07.04.2021 mehrfach versuchte den Kläger telefonisch zu erreichen, um ihn für den Dienst in der Tagesschicht in der Rettungswache mit Beginn um 6:00 Uhr einzuteilen, übersandte sie ihm schließlich um 13:27 Uhr eine SMS. Am 08.04.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsleistung an. Zwischenzeitlich hatte ihn die Beklagte jedoch durch einen Mitarbeiter aus der Rufbereitschaft ersetzt. Sie sprach gegenüber dem Kläger eine Ermahnung aus und zog den Dienst vom Arbeitszeitkonto des Klägers ab. Am 14.09.2021 versuchte die Beklagte erneut den Kläger bezüglich des Springerdienstes am nächsten Tag telefonisch zu erreichen. Als dies mehrfach scheiterte, sendete sie erneut eine SMS. Am 15.09.2021 zeigte der Kläger um 7.30 Uhr telefonisch seine Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme an. Tatsächlich nahm der Kläger seinen Dienst um 8.26 Uhr auf. Die Beklagte wertete die Zeit von 6.30 Uhr bis 8.26 Uhr als unentschuldigtes Fehlen und zog die Stunden vom Arbeitszeitkonto ab. Der Notfallsanitäter fordert nun gerichtlich die Gutschrift der abgezogenen Stunden auf dem Arbeitszeitkonto sowie die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.

Entscheidung

Das BAG gab der Revision der Beklagten statt und entschied gegen die Vorinstanzen. Die Beklagte durfte rechtmäßigerweise dem Kläger Stunden von seinem Arbeitszeitkonto abziehen.

Begründet wurde dies damit, dass sich die Beklagte gerade nicht im Annahmeverzug nach § 615 S. 1 i. V. m. §§ 293 ff. BGB befand, da der Kläger seine geschuldete Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten hatte. Nach § 294 BGB hat der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung so anzubieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort und insbesondere auch zur rechten Zeit. Nur wenn der Arbeitgeber erklärt, er werde die (Arbeits-)leistung nicht annehmen, kann ein wörtliches Angebot des Arbeitgebers ausreichen (§ 295 BGB). Die Beklagte habe zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass sie die Leistung des Klägers nicht annehmen wolle; vielmehr wollte sie die Arbeitsleistung durch eine Dienst-SMS am Vortag konkretisieren und annehmen.

Die nach der Betriebsvereinbarung vorgesehene viertägige Frist zu einem unkonkreten Springerdienst wurde eingehalten. Ebenso hatte die Beklagte innerhalb des zulässigen Zeitfenters am Vortag des Dienstes per SMS dem Kläger mitgeteilt, inwieweit sich sein Springerdienst konkretisiert. Diese wirksame Konkretisierung ist dem Kläger auch zugegangen, was die Vorinstanz bereits bestätigt hatte.

Der Kläger war verpflichtet, sich die von der Beklagten am Vortag gesendete Dienst-SMS durchzulesen. Es handelt sich hierbei um eine mit der Arbeitspflicht in unmittelbarem Zusammenhang stehende Nebenleistungspflicht nach § 241 Abs. 2 BGB, der der Kläger durch eine Betriebsvereinbarung unterliege. Das bedeutet aber weder, dass der Arbeitnehmer ununterbrochen erreichbar sein muss noch den ganzen Tag auf sein Diensttelefon zu schauen hat. Er könne vielmehr selbst entscheiden, wann und wo er die Dienstanweisung lese, solange er sie noch pünktlich vor Dienstantritt zur Kenntnis nimmt.

Auch verstößt der Arbeitgeber damit nicht gegen den Art. 2 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Der Unionsrechtsgeber hat keine Zwischenkategorie vorgesehen, sondern nur in “Arbeitszeit” (Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie) und in “Ruhezeit” (Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie) aufgeteilt. Solange der Arbeitnehmer nicht so stark in seiner Freizeit eingeschränkt wird, dass ihm die Möglichkeit der eigenen Zeitgestaltung genommen wird, handelt es sich nicht um Arbeitszeit. Mit Lesen einer einzelnen SMS wurde der Arbeitnehmer nicht bedeutend in seiner Ruhezeit beeinträchtigt.

Zusätzlich kann sich der Kläger nicht auf § 326 Abs. 2 S. 1 BGB berufen. Die Beklagte habe es nicht zu vertreten, dass der Arbeitnehmer zu spät zum Dienst komme und damit seine Arbeitsleistung nicht anbiete, wenn der Dienstbeginn am Vortrag ausreichend konkretisiert wurde.
Die Beklagte war insofern berechtigt, den Kläger abzumahnen und ihn darauf hinzuweisen, dass er seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt hatte.

Die Entscheidung des BAG können Sie in ganzer Länge hier lesen.

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