Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass Urlaubsansprüche nicht verjähren, wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht über seine (noch) bestehenden Urlaubsansprüche und die diesbezüglichen Verfallfristen belehrt hat. Daraus folgt, dass sich bei unterbliebenen Hinweisen die (Rest-)Urlaubsansprüche mehrerer Jahre schnell aufsummieren können. Dies kann insbesondere im Kündigungsfall teuer werden. Die Arbeitgeber sollten ihre Arbeitnehmer schon im laufenden Kalenderjahr darauf hinweisen, dass der Urlaub verfällt, sollte er nicht genommen werden. Der Hinweis an die Arbeitnehmer sollte daher rechtzeitig und möglichst schriftlich erfolgen, um das Nachkommen der Informationspflicht vor Gericht nachweisen zu können.
Kommt der Arbeitgeber hingegen seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nach und nimmt der Arbeitnehmer seinen Urlaub trotzdem aus freien Stücken nicht, steht dies der Verjährung nicht entgegen.
Sachverhalt
Zwischen der Arbeitnehmerin und dem Arbeitgeber bestand vom 01.11.1996 bis zum 31.07.2017 ein Arbeitsverhältnis. Der Arbeitnehmerin standen 24 Urlaubstage pro Kalenderjahr zu. Bis zum 31.12.2011 hatten sich aufgrund des hohen Arbeitsaufkommens in den letzten Jahren bereits 76 Tage Resturlaub angesammelt. Mit Schreiben vom 01.03.2012 bescheinigte der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin, dass dieser Resturlaub nicht gem. § 7 Abs. 3 S. 2 BUrlG zum 31.03.2012 verfalle. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2017 häuften sich weitere Urlaubstage an. Insgesamt forderte die Arbeitnehmerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen. Auf einen möglichen Verfall der Urlaubstage hatte der Arbeitgeber zu keiner Zeit hingewiesen.
Während das Arbeitsgericht den Arbeitgeber lediglich zur Abgeltung der offenen Urlaubstage aus dem Jahr 2017 verurteilte, erkannte das Landesarbeitsgericht einen Anspruch auf die gesamten 101 Urlaubstage an. Zur Entscheidung über die Revision des Arbeitgebers hielt es das BAG erforderlich, zunächst den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Beantwortung der Frage zu bitten, ob eine Verjährung des Urlaubsanspruchs entsprechend der allgemeinen Verjährungsfrist von drei Jahren gem. § 195 BGB mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. Mit Urteil vom 22.09.2022 (Az.: C-120/21) entschied der EuGH, dass eine derartige Verjährungsregelung nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Vielmehr müsse der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin tatsächlich in die Lage versetzen, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen.
Vor dem Hintergrund dieses Urteils des EuGHs hat das BAG nun über die Revision des Arbeitgebers entschieden.
Entscheidung
Das BAG wies die Revision des Arbeitgebers ab. Die Urlaubsansprüche seien nicht verjährt und der Urlaub auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in vollem Umfang abzugelten.
Auch für die Urlaubsansprüche der Arbeitnehmerin gelten die allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff. BGB und damit die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Jedoch müsse die Vorschrift des § 199 Abs. 1 BGB, nach welchem die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist, unionsrechtskonform ausgelegt werden. Demnach beginne die dreijährige Verjährungsfrist erst mit Ende des Jahres, indem der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin auf ihre offenen Urlaubsansprüche und deren Verfall hingewiesen hat und die Arbeitnehmerin die Möglichkeit hatte, ihren Erholungsurlaub tatsächlich zu nehmen, dies aber aus freien Stücken unterlies. Vorliegend ist ein solcher Hinweis durch den Arbeitgeber zu keiner Zeit erfolgt.
Das Urteil des BAG können Sie hier nachlesen.
Das Urteil des EuGH finden Sie hier.
Ergänzende Hinweise
Ergänzend möchten wir darauf hinweisen, dass der Anspruch auf Erholungsurlaub strikt vom Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG zu unterscheiden ist, der entsteht, wenn der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Dieser ist nicht mehr auf die Freistellung von der Arbeitspflicht gerichtet, sondern auf die finanzielle Kompensation nichtgenommener Urlaubstage. Das BAG betonte daher im Urteil vom 31.01.2023 (Az.: 9 AZR 456/20) ausdrücklich, dass die oben genannten Grundsätze für den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht gelten. Dieser verjährt nach drei Jahren, beginnend ab dem Ende des Jahres, in dem das Arbeitsverhältnis endet. Dies gilt auch ohne entsprechenden Hinweis durch den Arbeitgeber. Eine Ausnahme macht das BAG jedoch für Arbeitsverhältnisse, welche vor der gefestigten Rechtsprechung zur Hinweispflicht des Arbeitgebers auf den Verfall von Urlaubsansprüchen endeten. Ging der Arbeitnehmer davon aus, dass seine Urlaubsansprüche aus den vergangenen Jahren bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon verfallen waren, beginnt die dreijährige Verjährungsfrist bzgl. des Urlaubsabgeltungsanspruchs daher in der Regel erst mit Ende des Jahres 2018, in welchem das Grundlagenurteil des EuGH zum Verfall von Urlaubsansprüchen erging. Die praktische Bedeutung dieser Ausnahme ist jedoch begrenzt, da eine mit dem Ende des Jahres 2018 beginnende Verjährungsfrist mit Ablauf des 31.12.2021 endete.
Die Pressemitteilung des BAG vom 31.01.2023 finden Sie hier.