BAG: Niedrigerer Lohn für Leiharbeitnehmer aufgrund eines Tarifvertrages zulässig

BAG, Urteil vom 31.05.2023, Az.: 5 AZR 143/19

Der Gleichbehandlungsgrundsatz, insbesondere der „equalpay“-Grundsatz, spielt in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte eine zunehmende Bedeutung. Erst im Februar 2023 entschied das BAG, dass Verhandlungsgeschick keine Rechtfertigung für eine ungleiche Vergütung von Männern und Frauen ist (Urteil vom 16.02.2023, Az.: 8 AZR 450/21). Unsere News dazu finden Sie hier. Neben Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts hatte sich das BAG in jüngster Vergangenheit aber auch mit Benachteiligungen von Teilzeitkräften, geringfügig Beschäftigten und Schwerbehinderten zu befassen.

Im vorliegenden Fall hatte das BAG nun darüber zu entscheiden, ob Leiharbeitnehmern ein geringeres Entgelt gezahlt werden darf als den Stammarbeitnehmern des Entleihers. Grundsätzlich gilt der Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG. Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung die Arbeitsbedingungen zu gewähren, welche vergleichbaren Stammarbeitnehmern des Entleihers gewährt werden. Allerdings eröffnet § 8 Abs. 2 AÜG die Möglichkeit, durch Tarifvertrag vom Gleichstellungsgrundsatz abzuweichen. Dies gilt allerdings nur, wenn durch Ausgleichsvorteile der Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer weiterhin gewährleistet wird, so der EuGH. Das BAG hat nun herausgearbeitet, dass diese Ausgleichsvorteile in Deutschland bereits gesetzlich hinreichend vorgesehen sind. Tarifparteien dürfen daher eine niedrigere Vergütung auch ohne weitere Vorteile für Leiharbeitnehmer im Tarifvertrag regeln. Die gesetzlich geregelten Vorteile müssen von den Tarifparteien nicht ausdrücklich wiedergegeben werden.

Sachverhalt

Die Klägerin war von Januar bis April 2017 befristet bei dem beklagten Leiharbeiterunternehmen beschäftigt. Die Beklagte ist Mitglied des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen, welcher mit mehreren Gewerkschaften Tarifverträge abgeschlossen hat. In diesen ist unter anderem vorgesehen, dass in Abweichung von dem gesetzlichen Gleichstellungsgrundsatz (§ 8 Abs. 1 S. 1 AÜG) den Leiharbeitnehmern auch eine Vergütung gezahlt werden kann, welche geringer ist als diejenige der Stammarbeitnehmer im Entleihbetreib. So geschah es auch bei der Klägerin. Für ihre Tätigkeit als „Hilfsarbeiterin“ erhielt sie einen Stundenlohn von 9,00 € brutto, bzw. später in Höhe von 9,23 € brutto. Stammarbeitnehmer des Bekleidungsgeschäftes, in welchem sie eingesetzt wurde, erhielten hingegen einen Bruttostundenlohn in Höhe von 13,64 €.

Sie erhob Klage auf zusätzliches Arbeitsentgelt in Höhe des Differenzbetrages. Vor seiner Entscheidung setzte das BAG das Verfahren aus und richtete sich mit mehreren Vorlagefragen zur Auslegung von Art. 5 der Richtlinie 2008/104(„Leiharbeitsrichtlinie“) an den EuGH. Mit Urteil vom 15.12.2022 (Az.: C-311/21) entschied dieser, dass es den Tarifparteien grundsätzlich möglich ist, ein geringeres Arbeitsentgelt für Leiharbeitnehmer festzulegen. Allerdings muss im Gegenzug den Leiharbeitnehmern ein Ausgleichsvorteil bezüglich „wesentlicher Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ gewährt werden, welcher die Schlechterstellung bezüglich der Vergütung kompensiert. Das Urteil des EuGH finden Sie hier.

Entscheidung

Das BAG wies die Klage zurück. Die Leiharbeitnehmerin hat keinen Anspruch auf die höhere Vergütung der Stammarbeitnehmern des Entleihers.

Zwar ist der Verleiher nach § 8 Abs. 1 AÜG auch bezüglich des Entgeltes zur Gleichstellung mit vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers verpflichtet („equalpay“). Allerdings kann nach § 8 Abs. 2 AÜG durch Tarifvertrag von dem Gleichstellungsgrundsatz abgewichen werden, soweit nicht die in einer Rechtsverordnung nach § 3 Abs. 3a AÜG vorgesehenen Mindestentgelte unterschritten werden. Eine solche Unterschreitung lag nicht vor. Auch der gesetzliche Mindestlohn wurde zu jeder Zeit gezahlt. Die Regelung im Tarifvertrag sei wirksam. Insbesondere gewährleiste der Tarifvertrag den vom EuGH geforderten Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer. Die Ungleichbehandlung bei der Vergütung werde hinreichend durch Ausgleichsvorteile kompensiert. Der EuGH habe an keiner Stelle ausdrücklich gefordert, dass die Kompensation durch Regelungen innerhalb des Tarifvertrages erfolgen muss. Vielmehr könne ein Ausgleichsvorteil auch durch nationale gesetzliche Regelungen entstehen, welche die Tarifparteien nicht zwingend im Tarifvertrag wiederholen müssen. Ein solcher Ausgleichsvorteil liege bereits damit vor, dass Leiharbeitnehmer nach deutschem Recht das tarifliche Entgelt auch in verleihfreien Zeiten in voller Höhe erhalten. Kommt es zu verleihfreien Zeiten, kann der Verleiher das Arbeitsverhältnis außer in den Fällen einer außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB nicht mit sofortiger Wirkung beenden und ist damit auch ohne Beschäftigung zur Fortzahlung des Lohnes verpflichtet. Diesen Vorteil hat der Gesetzgeber zusätzlich dadurch abgesichert, dass der Anspruch auf Annahmeverzugslohn gemäß § 615 BGB nach § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG nicht durch Vertrag beschränkt werden kann. Weiterhin wird durch die nach § 3a AÜG festgelegte Lohnuntergrenze ein Mindestschutz für Leiharbeitnehmer gewährleistet und dies auch für Zeiten ohne Überlassung. Demnach hat die Klägerin lediglich Anspruch auf das im Tarifvertrag vereinbarte Entgelt.

Das Urteil des BAG können Sie in voller Länge hier nachlesen.

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