Das BAG hat zum Jahresende entschieden, dass Teilzeitbeschäftigten ein Überstundenzuschlag bereits ab der ersten Überstunde zusteht. Eine tarifvertragliche Regelung, nach welcher Teilzeitbeschäftigte nur für die Arbeitsstunden einen Zuschlag erhalten, welche die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschreiten, sei unwirksam. Ein frühzeitiges Weihnachtsgeschenk für zahlreiche Teilzeitbeschäftigte – eine große Herausforderung für die Dienstplaner.
Trotzdem bleibt es nach unserer Ansicht dabei, dass Sie sich bei Anwendung des TVöD oder einem vergleichbaren Haustarifvertrages weiter auf die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2021 (BAG, Urteil vom 15.10.2021, Az.: 6 AZR 253/19) stützen können und erst bei Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten Zuschläge für Überstunden zahlen müssen.
Sachverhalt
Geklagt hatte eine Pflegekraft, welche bei einem ambulanten Dialyseanbieter in Teilzeit im Umfang von 40 % eines Vollzeitbeschäftigten tätig ist. Auf das Arbeitsverhältnis findet der zwischen dem Arbeitgeber und der der Gewerkschaft ver.di geschlossene Manteltarifvertrag Anwendung. Laut diesem liegt eine zuschlagspflichtige Überstunde dann vor, wenn auf Anordnung des Arbeitsgebers Arbeitsstunden geleistet werden, welche über die kalendermonatliche Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hinausgehen und im jeweiligen Kalendermonat nicht durch Freizeit ausgeglichen werden. Diese Überstunden sind laut Manteltarifvertrag mit einem Zuschlag von 30 % zu entschädigen. Alternativ zur Auszahlung des Zuschlags ist eine entsprechende Gutschrift auf dem Arbeitszeitkonto vorgesehen. Das Arbeitszeitkonto der Klägerin wies im März 2018 bereits ein erhebliches Guthaben auf. Für die dort gutgeschriebenen Zeiten hat der Beklagte der Pflegekraft jedoch weder Zuschläge ausgezahlt noch zusätzliche Zeiten auf dem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Die Klägerin verlangte daher vom Beklagten die Gutschrift von Überstundenzuschlägen auf dem Arbeitszeitkonto im Umfang von über 38 Stunden. Zudem machte sie eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Da in dem Unternehmen mehr als 90 % der Teilzeitbeschäftigten weiblich sind, werde sie durch die Regelung im Tarifvertrag auch aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert.
Die Entscheidung
Das BAG gab der Pflegekraft Recht und sprach ihr den geforderten Überstundenzuschlag sowie die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu.
Zuvor hatte das BAG das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vorgelegt. Dieser entschied am 29.07.2024 (EuGH, Urteil vom 29.07.2024, Az.: C-184/22), dass eine Regelung, welche die Zahlung von Überstundenzuschlägen an Teilzeitbeschäftigte davon abhängig macht, dass die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wird, eine Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten darstellt, sofern für die Ungleichbehandlung keine sachlichen Gründe vorliegen.
Unter Anwendung dieses Grundsatzes hat das BAG nun entschieden, dass die entsprechende Regelung im Manteltarifvertrag wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitkräften in § 4 Abs. 1 TzBfG unwirksam sei. Einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung konnte das BAG nicht erkennen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf die geforderten Überstundenzuschläge in Form einer Zeitgutschrift. Zudem sprach das BAG der Pflegekraft auch eine Entschädigung von 250 € nach § 15 Abs. 2 AGG zu. Durch den Umstand, dass über 90 % der Teilzeitbeschäftigten weiblich seien, werde sie mittelbar aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt.
Auswirkungen der Entscheidung
§ 4 Abs. 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) verbietet eine Schlechterstellung von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten. Es gilt der sog. „pro rata temporis“-Grundsatz. Nach diesem sind Teilzeitkräfte in dem Umfang zu vergüten, der dem Anteil an der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten entspricht.
Seit langer Zeit wird bereits diskutiert, wie dieser Grundsatz auf die Vergütung von Überstunden anzuwenden ist. Das BAG hatte sich bereits mehrfach mit Regelungen in verschiedenen Tarifverträgen zu beschäftigen, nach welchen Teilzeitkräfte erst einen Überstundenzuschlag erhalten, wenn sie die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten erreichen. Hierbei schien lange Zeit eine konsequente Linie des BAG dahingehend zu bestehen, dass derartige Regelungen Teilzeitbeschäftigte unangemessen benachteiligen und daher unwirksam seien (so z.B. BAG, Urteil vom 23.03.2017, Az.: 6 AZR 161/16 und BAG, Urteil vom 19.12.2018, Az.: 10 AZR 231/18).
Umso mehr überraschte das Urteil des BAG aus dem Jahr 2021, in welchem es die Regelung in § 7 TVöD für wirksam erachtete (BAG, Urteil vom 15.10.2021, Az.: 6 AZR 253/19). Einen Überstundenzuschlag für Teilzeitbeschäftigte im Anwendungsbereich des TVöD gibt es damit faktisch nicht mehr. Fraglich ist, ob dieses Urteil des BAG weiterhin haltbar ist, oder ob das BAG mit dem aktuellen Urteil eine Kehrtwende hinlegt und seiner Entscheidung von 2021 eine Absage erteilt. 2021 begründete das BAG seine Entscheidung hauptsächlich mit dem im TVöD geregelten Entgeltsystem. Demnach sind nach § 8 Abs. 1 TVöD Überstunden nach dem individuellen Tabellenentgelt, jedoch max. mit dem Entgelt der Stufe 4 zu vergüten. Der Überstundenzuschlag berechnet sich nach dem Entgelt der Stufe 3. Teilzeitbeschäftigte erhalten hingegen für ihre Mehrarbeit, welche die Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten nicht überschreitet, eine Vergütung entsprechend ihrer tatsächlichen Eingruppierung und Stufenzuordnung. Bei Teilzeitbeschäftigten, welche höher als in Stufe 4 eingestuft sind, sei es daher möglich, dass sie für Mehrarbeit trotz fehlenden Überstundenzuschlages sogar eine höhere Vergütung erhalten, als Vollzeitbeschäftigte mit dem Zuschlag. Die Vergütung von Teilzeitbeschäftigten und Vollzeitbeschäftigten sei daher so unterschiedlich, dass sie bereits gar nicht miteinander vergleichbar sei. Eine derartige Differenzierung trifft der Tarifvertrag, über den das BAG nun zu entscheiden hatte, nicht.
Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass das BAG auch ohne Widersprüche zu seiner aktuellen Entscheidung an seinem Urteil aus dem Jahr 2021 festhalten kann und im Anwendungsbereich des TVöD oder einem vergleichbaren Haustarifvertrag weiterhin Überstundenzuschläge für Teilzeitbeschäftigte faktisch ausgeschlossen sind. Insoweit bleibt eine Entscheidung des BAG abzuwarten. Wir sind jedoch der Ansicht, dass Sie sich bei Anwendung des TVöD oder einem vergleichbaren Haustarifvertrages weiter auf die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2021 stützen können und erst bei Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten Zuschläge für Überstunden zahlen müssen.
Für die Dienstplaner macht es dies keinesfalls einfacher. Vielmehr haben sie zusätzlich noch zu prüfen, ob nach dem jeweils einschlägigen Tarifvertrag unterschiedliche Vergütungssysteme für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte vorliegen. Rechtssicherheit hat das BAG damit keinesfalls geschaffen. Zudem hat es mit seinem Urteil die Gefahr geschaffen, dass bei einem Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten nicht nur nachträglich die Überstundenzuschläge zu gewähren sind, sondern auch eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen ist, sobald eine weit überwiegende Zahl der Teilzeitbeschäftigten im Unternehmen weiblich ist.
Die Pressemitteilung das BAG kann hier nachgelesen werden.