BAG: Vergütung auch bei Verweigerung von Arbeitsleistung nach unwirksamer fristloser Kündigung

BAG, Urteil vom 29.03.2023, Az.:5 AZR 255/22

Die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses kann viele Konflikte mit sich bringen. Der Arbeitgeber wird vor eine schwierige Situation gestellt, wenn der Arbeitnehmer nach Kündigungsausspruch bis zum Ende der Kündigungsfrist nicht mehr zur Arbeit erscheint, z.B. durch Krankmeldung.

Im Arbeitsrecht gilt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“. Das bedeutet, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Dienst kommt, hat er grundsätzlich keinen Anspruch auf Vergütung. Eine Ausnahme gilt beispielsweise, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung anbietet, der Arbeitgeber dieses Angebot aber nicht rechtzeitig annimmt. Befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug, kann der Arbeitnehmer nach § 615 S. 1 i. V. m. §§ 293 ff. BGB auch ohne Arbeitsleistung seine Vergütung verlangen. Dazu muss der Arbeitnehmer aber tatsächlich leistungswillig sein.

Das BAG entschied, dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn hat, sollte er nach dem Ausspruch einer unwirksamen fristlosen Kündigung nicht mehr zur Arbeit erscheinen. Hält ein Arbeitgeber also erkennbar an der ausgesprochenen fristlosen Kündigung fest, befreit ihn auch ein Arbeitsangebot nicht von seiner Pflicht zur Fortzahlung des Lohnes. Vielmehr ist sein Verhalten widersprüchlich.

Sachverhalt:

Der Kläger war bei dem beklagten Kleinunternehmen seit August 2028 tätig. Sein Gehalt belief sich zuletzt auf 5.250,00 € brutto im Monat. Am 02.12.2019 sprach die Beklagte eine fristlose Änderungskündigung aus. Der Kläger solle künftig eine Tätigkeit als Softwareentwickler für ein Gehalt von 3.750,00 € brutto monatlich ausüben. Ebenso werde die arbeitsvertragliche Verpflichtung, das Arbeitsverhältnis für zwei Jahre nicht ordentlich kündigen zu können, aufgehoben. Unabhängig davon, ob der Kläger die Änderungskündigung ablehne oder annehme, werde er am 05.12.2018 spätestens um 12 Uhr zum Dienstantritt erwartet. Der Arbeitnehmer lehnte die Änderungskündigung ab und erschien nicht zur Arbeit. In einem umfassenden Schreiben begründete die Beklagte am 09.12.2019 die Änderungskündigung. Da der Kläger weiterhin nicht zur Arbeit erschien, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 14.12.2019 erneut außerordentlich zum 17.12.2019 und forderte ihn auf, spätestens am 17.12.2019 bei der Arbeit zu erscheinen, sollte er die Kündigung ablehnen. Auch darauf reagierte der Kläger nicht. Im folgenden Kündigungsschutzprozess wurde rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen unwirksam waren.

Die Beklagte zahlte im Dezember 2019 nur noch eine Vergütung von 765,14 Euro. Bis zum neuen Beschäftigungsverhältnis des Klägers am 01.04.2020 erhielt er keine weitere Vergütung. Der Kläger forderte gerichtlich für die Zeit von Dezember 2019 bis April 2020 ein Arbeitsentgelt i. H. v. 20.234,86 € brutto abzüglich des erhaltenen Arbeitslosenentgelts i. H. v. 7.891,65 €.

Entscheidung des BAG:

Das BAG gab dem Kläger Recht. Ihm stehe die Vergütung für den strittigen Zeitraum zu.

Der Arbeitgeber habe sich im Annahmeverzug befunden und sei daher nach § 615 S. 1 BGB zur Zahlung des Lohnes verpflichtet. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG gerät der Arbeitgeber bei einer unwirksamen Kündigung in Annahmeverzug, ohne dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ausdrücklich anbieten muss (BAG, Urteil vom 12.10.2022, 5 AZR 30/22). In der Kündigung des Arbeitgebers liegt gleichzeitig die Erklärung, dass er die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach abgelaufener Kündigungsfrist nicht mehr annehmen wird.

Der Arbeitnehmer war vorliegend auch nicht leistungsunwillig. Für eine Leistungsunwilligkeit des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber konkrete Indizien vorlegen. Die Unwilligkeit liege nicht schon vor, weil sich der Arbeitnehmer weigert, nach abgelaufener Kündigungsfrist bzw. dem Zugang einer fristlosen Kündigung weiterzuarbeiten. Vielmehr muss der Arbeitnehmer eine Arbeitsangebot ablehnen, obwohl für ihn die Annahme tatsächlich zumutbar und eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen möglich ist. Ein solches ernsthaftes Angebot zu unveränderten Arbeitsbedingungen hat die Beklagte dem Kläger nicht vorgelegt. Einerseits sprach die Beklagte eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung aus und brachte damit zum Ausdruck, dass ihr eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar ist. Andererseits hat sie vom Kläger verlangt, dass er weiterarbeite. Eine solche widersprüchliche Vorgehensweise zeuge von fehlender Ernsthaftigkeit. Das gelte insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber weiß, dass er ansonsten in Gefahr gerät, Annahmeverzugslohn zahlen zu müssen und das Angebot aus reiner Formalität unterbreitet.

Selbst wenn ein ernstgemeintes Angebot durch den Arbeitgeber vorliegt, führt eine Weigerung des Arbeitnehmers nicht zur Leistungsunwilligkeit nach § 297 BGB.
Denn hält der Arbeitgeber weiterhin an seiner Kündigung fest, will er nicht die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung fordern, „sondern lediglich das finanzielle Risiko (…) im Kündigungsschutzprozess mindern.“

Die Weigerung biete auch keinen Anlass zur Anrechnung einer böswillig entgangenen Entlohnung nach § 11 Nr. 2 KSchG. Dazu müsste der Arbeitnehmer es absichtlich unterlassen, eine ihm zumutbare Arbeit anzutreten. Legt der Arbeitgeber – wie im vorliegenden Fall – jedoch eine umfassende Begründung dar, warum das Vertrauensverhältnis zum Arbeitnehmer „irreparabel zerstört“ ist und damit die Weiterbeschäftigung unzumutbar, spricht diese Widersprüchlichkeit gerade gegen eine Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer.

Das vollständige Urteil können Sie hier nachlesen.

 

Bildquelle: Pexels

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