EuGH: Tägliche Ruhezeit und wöchentliche Ruhezeit sind unabhängig voneinander zu gewähren

EuGH, Urteil vom 02.03.2023, Az.: C-447/21

Die zahlreichen Vorschriften des Arbeitszeitrechts stellen Dienstplaner vor große Herausforderungen. Zusätzlich zu den Ruhepausen, welche die tägliche Arbeitszeitunterbrechen, ist bei der Dienstplanung auch die Einhaltung der Vorgaben zur Ruhezeit zu berücksichtigen. Das deutsche Recht enthält lediglich Regelungen zur täglichen Ruhezeit. Darunter ist der Zeitraum zwischen dem Ende der täglichen Arbeitszeit und dem Beginn der nächsten täglichen Arbeitszeit (= Arbeitsruhe) zu verstehen. Nach § 5 Abs. 1 ArbZG muss diese tägliche Ruhezeit mind. 11 Stunden betragen (bei Jugendlichen = 12 h, § 13 JArbSchG). In Krankenhäusern kann die Ruhezeit gem. § 5 Abs. 2 ArbZG auf 10 Stunden verkürzt werden, sofern innerhalb eines Kalendermonats oder vier Kalenderwochen ein Ausgleich durch Verlängerung einer anderen Ruhezeit erfolgt. Für die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft enthält § 5 Abs. 3 ArbZG eine Sonderregelung. Ruhezeit, die aufgrund der Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft entfällt, kann später nachgeholt werden, sofern die Kürzung nicht mehr als die Hälfte der Ruhezeit beträgt. Die Ruhezeit ist ununterbrochen zu gewähren. Bei jeder Unterbrechung beginnt die Ruhezeit neu zu laufen.

Die europäische Arbeitszeitrichtlinie geht über die Vorgaben des deutschen Rechts hinaus und schreibt zusätzlich eine wöchentliche Ruhezeit vor. Demnach sind dem Arbeitnehmer pro 7-Tage-Zeitraum 24 h ununterbrochene Ruhezeit zu gewähren. Diese Ruhezeit kann jedoch flexibel innerhalb des jeweiligen 7-Tage-Zeitraum liegen. Es ist durchaus möglich, einen Arbeitnehmer 12 Tage in Folge einzusetzen, solange am ersten und am letzten Tag des 14-Tage-Zeitraums eine Ruhezeit von 24 h liegt. Der EuGH hat nun entscheiden, dass diese wöchentliche Ruhezeit zusätzlich zur täglichen Ruhezeit zu gewähren ist. Am Ende eines entsprechenden Dienstes muss daher eine Ruhezeit von 11 h (tägliche Ruhezeit) + 24 h (wöchentliche Ruhezeit) = 35 h gewährt werden. Im deutschen Recht wird diese wöchentliche Ruhezeit derzeit lediglich durch die in § 9 ArbZG vorgeschriebene Sonntagsruhe umgesetzt. Diese Regelung stößt jedoch dann an ihre Grenzen, wenn ein Arbeitnehmer am Samstag bis nach 13 Uhr Arbeitsleistung erbringt. Die Sonntagsruhe liegt dann nicht mehr vollständig im vorgeschriebenen 35 h Zeitraum.

Auswirkungen hat das Urteil des EuGH auch auf die Gewährung der täglichen Ruhezeit in Form von Freizeitausgleich für Überstunden oder Urlaub. Nach bisheriger Rechtsprechung der nationalen Gerichte ist der Grund für die Arbeitsruhe unerheblich. Die tägliche Ruhezeit kann daher beispielsweise auch durch Freizeitausgleich, Urlaub, Feiertage oder Erkrankung gewährt werden. Der EuGH stellt nun allerdings deutlich auf den jeweiligen Erholungszweck ab und grenzt auch tägliche und wöchentliche Ruhezeit anhand ihrer unterschiedlichen Erholungszwecke voneinander ab. Dem Freizeitausgleich oder Urlaub kommt wiederum ein anderer Erholungszweck zu. Konsequenter Weise wird daher auch Erholungsurlaub und Freizeitausgleich zusätzlich zur Ruhezeit zu gewähren sein. Inwieweit das BAG das Urteil des EuGH zum Anlass nimmt, seine bisherige Rechtsprechung zu dieser Frage aufzugeben, bleibt abzuwarten.

Sachverhalt

Kläger war ein Lokführer aus Ungarn. Sein Arbeitgeber gewährte ihm eine tägliche Ruhezeit von 12 Stunden sowie eine wöchentliche Ruhezeit in Höhe von 42 Stunden. Allerdings verzichtete der Arbeitgeber auf die Gewährung der täglichen Ruhezeit, wenn er die wöchentliche Ruhezeit gewährte. Es bleib daher bei den 42 Stunden Ruhezeit, ohne dass zuvor oder anschließend die 12 Stunden tägliche Ruhezeit angehangen wurden. Der Lokführer erhob gegen dieses Vorgehen Klage. Das zuständige Gericht legt dem EuGH die Frage vor, ob der Begriff „wöchentliche Ruhezeit“ dahin auszulegen ist, dass nach der ununterbrochenen Mindestruhezeit von 24 Stunden noch die tägliche Ruhezeit von elf Stunden gewährt werden muss.

Entscheidung

Der EuGH entschied, dass die tägliche und die wöchentliche Ruhezeit unabhängig voneinander zu gewähren sind.

Mit der täglichen und der wöchentlichen Arbeitszeit werden unterschiedliche Ziele verfolgt. Die tägliche Ruhezeit habe den Zweck, dass sich der Arbeitnehmer nach einer Arbeitsperiode aus seiner Arbeitsumgebung zurückziehen könne. Die wöchentliche Ruhezeit diene hingegen der Erholung. Bereits in der europäischen Arbeitszeitrichtlinie heißt es daher in Art. 5, dass dem Arbeitnehmer die wöchentliche Ruhezeit „zuzüglich“ der täglichen Ruhezeit zu gewähren ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Arbeitgeber bereits eine längere wöchentliche Ruhezeit als die von der Richtlinie vorgesehenen 24 Stunden gewährt. Durch eine günstigere Regelung im nationalen Recht oder Tarifvertrag darf kein anderes Recht des Arbeitnehmers gekürzt werden.

Das Urteil im Volltext finden Sie hier.

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