LAG München: Betriebsrat kann Regelungen über die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung erzwingen

Landesarbeitsgericht München, Beschluss vom 22.05.2023, Az.: 4 TaBV 24/23

Seit der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 13.09.2022 ist klar: Jeder Arbeitgeber ist zur systematischen und lückenlosen Arbeitszeiterfassung sämtlicher Arbeitnehmer gesetzlich verpflichtet. Ausgenommen hiervon sind lediglich Chefärzte, Geschäftsführer und Prokuristen, da diese leitende Angestellte sind.

Unsere News zu dem Beschluss des BAG v. 13.09.2022 finden Sie hier.

Viele Arbeitgeber sind bereits tätig geworden. Vertraut man auf eine repräsentative Studie von tisoware aus dem Januar 2023, liegt die Anzahl der Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit erfasst wird, seit dem Urteil des BAG bei 89 %. Auch zur Art und Weise der Arbeitszeiterfassung wurden Daten erhoben. Demnach erfassen 25 % der Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit manuell auf Papier, 24 % mittels Stechuhr und 12 % in Form einer Excel-Tabelle. Moderne Software oder Apps werden hingegen selten genutzt.

Auch wenn vielfach in Krankenhäusern bereits eine Arbeitszeiterfassung erfolgt, wird diese noch nicht in der Gänze auf Ärzte angewandt. Außerdem gibt es oftmals keinerlei Zeiterfassung im MVZ und in den Tochtergesellschaften.

In welcher Form die Arbeitszeit zu erfassen ist, ist derzeit noch nicht gesetzlich vorgeschrieben. Ein erster Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit, welcher eine Erfassung der Arbeitszeit in elektronischer Form vorschreibt, liegt zwar bereits vor, eine gesetzliche Umsetzung ist jedoch noch nicht absehbar. Dies ist auch der Grund, warum viele Arbeitgeber derzeit noch die Einführung eines Systems der Arbeitszeiterfassung scheuen. Sie wollen zunächst die gesetzliche Regelung bzw. mögliche Regelungen in Tarifverträgen abwarten. So auch der Fall vor dem LAG München. Auch wenn dem Betriebsrat laut Urteil des BAG lediglich ein Mitbestimmungsrecht bezüglich des „Wie“ der Arbeitszeiterfassung zukommt, nicht jedoch bezüglich des „Ob“, hängt die Ausübung dieses Mitbestimmungsrechts nicht davon ab, ob der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nachkommen will.

Anders als im Fall vor dem BAG beschränkt der Betriebsrat vorliegend sein Initiativrecht nicht auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung, sondern hielt das Ergebnis der Verhandlungen bezüglich der Form der Zeiterfassung offen. Der Betriebsrat kann daher die Einführung eines Zeiterfassungssystems auch erzwingen, wenn der Arbeitgeber die gesetzliche Regelung zunächst abwarten will. Notfalls muss tatsächlich nach der gesetzlichen Ausgestaltung erneut mit dem Betriebsrat verhandelt werden. Ihnen als Arbeitgeber bleibt dabei nur darauf zu achten, dass eventuell von der Arbeitnehmervertretung eingeforderte Betriebs- oder Dienstvereinbarungen kurzfristig gekündigt werden können, um schnell auf gesetzliche Regelungen reagieren zu können.

Sachverhalt

Kläger war der örtliche Betriebsrat einer Vertriebsgesellschaft einer Unternehmensgruppe. Für die gesamte Unternehmensgruppe besteht eine mit dem Konzernbetriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Der örtliche Betriebsrat der Vertriebsgesellschaft forderte nach dem Urteil des BAG den Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung für die Mitarbeiter des Außendienstes. Der Arbeitgeber verweigerte dies, da er zunächst die gesetzliche Regelung abwarten wollte. Bevor er entscheide, dass ein Zeiterfassungssystem eingeführt wird, könne dies vom Betriebsrat nicht gefordert werden. Laut Urteil des BAG habe dieser nämlich nur ein Mitbestimmungsrecht bezüglich des „Wie“ und nicht des „Ob“ der Arbeitszeiterfassung. Die Mitbestimmung des „Wie“ setze jedoch zunächst die Entscheidung des Arbeitgebers voraus, überhaupt ein System einführen zu wollen. Weiterhin sei für den Abschluss der Betriebsvereinbarung der Konzernbetriebsrat zuständig, nicht jedoch der örtliche Betriebsrat.

Der Betriebsrat beantragte daraufhin gerichtlich die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Ausgestaltung der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung.

Entscheidung

Das LAG München gab dem Betriebsrat Recht und setzte eine Einigungsstelle ein.

Wie bereits vom BAG festgestellt, kommt dem Betriebsrat aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht bei der konkreten Ausgestaltung der einzuführenden Arbeitszeiterfassung („Wie“) zu. Ein Initiativrecht bezüglich des „Ob“ einer Zeiterfassung hat der Betriebsrat jedoch nicht, da der Arbeitgeber bereits gesetzlich zur Arbeitszeiterfassung auf Grundlage des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet ist.

In dem Rechtsstreit am LAG München verlangte der Betriebsrat im Rahmen einer Betriebsvereinbarung die Mitsprache an der Ausgestaltung der Zeiterfassung für die Arbeitnehmer des Außendienstes. Es handelt sich also gerade um das „Wie“ der Zeiterfassung. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Arbeitgeber derzeit kein Zeiterfassungssystem einführen möchte. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates sei gerade nicht davon abhängig, ob der Arbeitgeber seine gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen will. Das Mitbestimmungsrecht bezüglich des „Wie“ besteht vielmehr ab dem Moment, in dem eine gesetzliche Pflicht zum Handeln besteht. Diese besteht seit dem Urteil des BAG vom 13.09.2022 aber gegenüber sämtlichen Mitarbeitern.

Nach Ansicht des LAG ist für die Mitbestimmung bei der Arbeitszeiterfassung der örtliche Betriebsrat zuständig. Vorliegend sei die Mitbestimmung im Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG betroffen. Eine Beurteilung könne in diesem Fall durch die örtliche Mitarbeitervertretung aufgrund der Kenntnis der konkreten Umstände des einzelnen Betriebes deutlich besser erfolgen, als durch den Konzernbetriebsrat.

Den Beschluss des LAG München können Sie hier in voller Länge nachlesen.

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